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„Mit unseren kognitiven Assistenzsystemen nehmen wir MitarbeiterInnen den Stress“

05. August 2024 von Erhard Sammer in Ratgeber Digitalisierung

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5 MINUTEN LESEDAUER

Die KI-gestützten optischen Systeme zur Qualitätssicherung von ivii eröffnen neue Möglichkeiten, den Menschen in seinem Arbeitsumfeld zu unterstützen. Peter Stelzer, CEO von ivii, erklärt, wie „kognitive Assistenz“ funktioniert und in welchen Branchen und Bereichen sie bereits erfolgreich eingesetzt wird.

 

Ihr Unternehmen ist bekannt für innovative optische Systeme zur Qualitätssicherung. Das Motto dazu lautet: „Bridging the Reality Gap“. Was ist damit gemeint?

Wir sind es gewohnt, Prozesse basierend auf Kennzahlen zu optimieren, die von Maschinen- oder Steuerungsdaten stammen. Hier fehlen aber wichtige Kennzahlen – nämlich die, die direkt mit der Realität zusammenhängen: Was ist wirklich im Behälter? Entspricht der Inhalt genau dem, was er laut übergeordnetem Software- bzw. Planungssystem (WMS, WCS, MES, PPS etc.) sein soll? Oder: Ist die Qualität eines produzierten Artikels wirklich so gut, wie es am Laufzettel steht? Mit unseren Systemen ist es möglich, „Realitätskennzahlen“ zu erfassen und die vorhandenen Kennzahlen damit anzureichern. So schließt man die „Reality Gap“ und kann Prozesse besser optimieren.

Die optische Überprüfung steht bei Ihnen im Mittelpunkt. Welche Vorteile bietet diese gegenüber anderen Sensoren oder Systemen?

Es existieren viele Sensoren zur Datenerfassung, wie z. B. Scanner, Waagen etc. Mit diesen wird jedoch immer nur ein punktueller Aspekt erfasst. Ein optischer Sensor stellt hingegen eine ganzheitliche Informationsquelle dar: Ich kann nicht nur Abmessungen und Gewicht eines Artikels erkennen, sondern auch, ob die Artikel in einem Behälter unversehrt sind, oder ob sich überhaupt die richtigen Produkte im Behälter befinden – was immer wichtiger wird. Denn durch den direkten Vertriebsweg – oft vom Produzenten direkt zum Endkunden – entfällt der Zwischenhandel, und damit eine Kontrollinstanz. Daher müssen diese Kontrollen direkt in die Supply-Chain integriert werden – und das können wir mit unseren Systemen.

Verwenden Sie dafür spezielle Kameras oder Aufnahmetechniken?

Der Standard bei optischen Sensoren ist heute generell sehr hoch. Die Herausforderung bei unseren Anwendungen liegt vielmehr darin: Wie schnell brauche ich das Bild? Und wie schnell das Ergebnis, um den Prozess zu steuern? Damit ist für uns vor allem die Geschwindigkeit das treibende Element.

Neben der Optik spielt hier die Künstliche Intelligenz (KI) eine große Rolle. Wie wird diese in den Systemen konkret verwendet?

Kurz gesagt: Die KI macht es für den Anwender oder die Anwenderin einfacher. Das heißt, dass man als Benutzer kein Wissen über Bildverarbeitung braucht – man muss nur das Bildmaterial bereitstellen. Ein Beispiel: Ich habe 500 Bilder, auf denen Kartons in guter Qualität sind, schicke sie an die KI und erkläre ihr: „Wenn es so aussieht, ist es gut.“ Den Algorithmus zur Bilderkennung entwickelt die KI selbst. Das ist ein Gamechanger: Denn jetzt können viel größere Benutzergruppen diese Technologie verwenden – die Eintrittsschwelle ist viel niedriger geworden.

Wird die KI bei ivii entwickelt oder werden bestehende Modelle verwendet?

Grundsätzlich verwenden wir bestehende neuronale Netzwerke. Was wir hier im Haus machen, kann man mit dem Begriff „Hypertuning“ zusammenfassen: Das heißt, wir sagen der KI, worauf genau sie schauen soll, und was sie ignorieren kann.

Werden Ihre Systeme hauptsächlich in der Intralogistik verwendet oder gibt es auch andere Branchen, für die sie interessant sind?

Neben der Intralogistik – aus der wir ja kommen – haben wir unseren Fokus auf der produzierenden Industrie. Also dort, wo Menschen etwas zusammenbauen. Dabei können wir die MitarbeiterInnen führen und jeden ihrer Arbeitsschritte bestätigen.

Wenden Sie sich mit Ihren Produkten nur an große Unternehmen oder sind diese auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) interessant?

Für uns sind KMUs eine sehr interessante Zielgruppe, da sie in der Regel noch keine qualitätssichernden Systeme in dieser Form haben. Diese Unternehmen wollen sich auch nicht von einem bestimmten Softwarehaus abhängig machen, wenn sie ein derartiges System einführen. Mit unseren Lösungen bleiben sie vollkommen unabhängig – sie können alles selbst anlernen und an ihre Bedürfnisse anpassen.

Der smartdesk unterstützt MitarbeiterInnen auf vielfältige Art: Durch Anleitung, Teileerkennung und Bestätigung jedes einzelnen Arbeitsschritts. Hier gibt es Use Cases aus verschiedenen Branchen. Können Sie uns darüber berichten?

Was die verschiedenen Branchen miteinander verbindet, ist, dass es bei allen ein Qualitätsproblem gab, das gelöst werden musste. Denn alle Unternehmen müssen innerhalb von kürzester Zeit höchste Qualität liefern, haben dafür aber nicht genug Fachpersonal zur Verfügung. Das war beim Logistikunternehmen Jerich so, bei der RIKA Blechkomponenten GmbH oder bei der Getriebemontage von Pankl. Die Lösung brachte unser intelligenter Montagetisch smartdesk: Bei Jerich werden für die Just-in-Time Zulieferung für die Automobilindustrie Links- und Rechts-Lochbohrungen in Bauteilen erkannt und damit das Bauteil richtig zugeordnet. Einem Menschen, der das den ganzen Tag lang macht, wird hier irgendwann ein Fehler passieren – mit dem smartdesk nicht. Oder: Beim Stanzen von Löchern in Blechteile können Fehler passieren, weil z. B. das Stanzwerkzeug gebrochen ist. Auch hier ist es für den Menschen unmöglich zu erkennen, ob wirklich alle Löcher, die für die Montage erforderlich sind, vorhanden sind. Die in den smartdesk integrierte KI erkennt das. Und auch in der Getriebefertigung hat sich der intelligente Arbeitsplatz bewährt: Bei Pankl wurde durch die „kognitive Assistenz“, die der smartdesk dem Menschen bietet, sogar eine Null-Fehler-Quote erreicht – und das mit großteils unerfahrenen MitarbeiterInnen, da für die Schichtaufstockung zum damaligen Zeitpunkt das Fachpersonal gefehlt hat.

Was meinen Sie genau mit „kognitiver Assistenz“?

Mit der physischen Assistenz durch die Technik sind wir alle vertraut: Beim Heben, beim Bohren, beim Schrauben etc. Diese physische Assistenz ergänzen wir nun mit der „kognitiven Assistenz“: Das heißt, wir unterstützen den Menschen bei geistigen Herausforderungen im Rahmen seiner Arbeit. Und diese Unterstützung wird gerne angenommen, da sich die MitarbeiterInnen sicher sein können, alles richtig gemacht zu haben, wenn sie am Abend von der Arbeit nach Hause gehen.

Ein besonderes Feature des von ivii entwickelten digitalen Montagetischs smartdesk ist die einfache Weitergabe von Wissen. Wie funktioniert das?

Der Fokus bei der Entwicklung des smartdesk lag darauf, dass die Kunden im Zuge der Arbeitsvorbereitung das System selbst vorbereiten können. Das heißt, der Kunde benötigt bei einer Produktionsumstellung kein Softwarehaus zum Anlernen des smartdesk – er kann das mit den vorhandenen Skills unkompliziert selbst erledigen. Damit bleibt das Unternehmen unabhängig und flexibel und kann rasch auf wechselnde Anforderungen des Markts reagieren. Außerdem: Was einmal angelernt wurde, kann sofort auf weiteren Arbeitsplätzen benutzt werden – auch an anderen Standorten. So trägt der smartdesk wesentlich zur Wissensskalierung bei. Bereits bestehende Montage-Arbeitsplätze können selbstverständlich mit unserer Technologie nachgerüstet werden.

Abschließend: Woher kommt eigentlich der ungewöhnliche Firmenname ivii?

Ursprünglich war das ein Akronym für Intelligent Visual Image Identification. Das verwenden wir heute nicht mehr – aber so ist unser Firmenname 2016 entstanden.

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